Die Angehörigen der Opfer des Khmer Rouge Regimes wollten den Ermordeten eine Stimme geben; sie wollten, dass die Verstorbenen nicht zu Zahlen in einer Statistik werden, sondern dass ihre Geschichten im Gedächtnis der Bevölkerung bleiben.
Ohne Erinnerung gibt es kein Verstehen und keine Aufarbeitung. Erinnerung aber ist nicht selbstverständlich, sie kann unbequem und beschämend sein für die Verantwortlichen oder für die, die nicht eingegriffen haben, obwohl sie die Macht dazu hatten. Erinnerung ruft nach Aufklärung, nach Wiedergutmachung und nach Wandel. Sie erfordert Anstrengung und den Willen, Unrecht zu sehen, das viele lieber vergessen würden. Die Frauen, deren Stimmen in der Geschichtsschreibung so oft marginalisiert werden, verdienen es, dass wir uns die Zeit nehmen und hinsehen.
Die Frage „Warum kennt ihr mich nicht?“, die sich als Leitmotiv durch das Projekt zieht, ist provokant und zugleich zutiefst menschlich. Sie verweist nicht nur auf das Schicksal der porträtierten Frauen, sondern auch auf eine strukturelle Ungerechtigkeit in der Geschichtsschreibung. Die Beiträge von Frauen im Widerstand – ob gegen den Nationalsozialismus, gegen Diktaturen in Lateinamerika oder gegen moderne autoritäre Regime – wurden lange Zeit übersehen. Das Projekt bricht mit dieser Tradition, indem es den Blick auf Frauen richtet, die sich etwa als Lehrerinnen, Journalistinnen, Aktivistinnen oder Wissenschaftlerinnen systemischem Unrecht entgegengestellt haben. Ernst Volland zeigt, dass Widerstand nicht nur die laute, spektakuläre Tat ist, sondern auch das leise, hartnäckige Widersetzen.
Die Porträts der Frauen und ihre an den Betrachter gerichtete Frage ziehen uns in einen Dialog. Sie zwingen uns, die Frauen zu sehen, uns mit ihren Biografien zu beschäftigen, Fragen zu stellen. Einige der Konflikte, deren Opfer die Frauen wurden, sind uns lange bekannt. Andere dagegen, das gestehen wir uns ein, sagen uns kaum etwas; vielleicht erinnern wir uns an eine Randnotiz in der Presse, mehr nicht. Sie sind zu weit weg, und es gibt so viele davon. Doch durch das Foto bekommt das Unrecht ein Gesicht, es verbindet sich mit dem Schicksal eines Menschen. Die Wirkung der Bilder ist viel kraftvoller als jede nüchterne Information oder jede noch so hohe, aber abstrakte Todeszahl.
Die porträtierten Frauen kommen aus unterschiedlichen Zeiten und Ländern; sie haben gegen Tyrannei und Folter gekämpft, für Unabhängigkeit und Menschenrechte. Die Stärke des Projekts liegt in dieser Vielfalt der Geschichten: Widerstand gab und gibt es an vielen Orten und zu allen Zeiten, von Menschen mit ganz unterschiedlichen Biografien, aus armen oder reichen Verhältnissen, aus politischer Überzeugung oder aus menschlicher Anteilnahme. Die Geschichten dieser Frauen sind nicht nur Zeugnisse der Vergangenheit, sondern auch Mahnung für die Gegenwart. Widerstand ist kein abgeschlossenes Kapitel in der Geschichte; er ist eine Haltung. Auch heute kämpfen und sterben Menschen im Kampf gegen das Unrecht. Und wir müssen uns fragen, ob wir hinsehen.
Dieses Kunstprojekt schafft eine Plattform, die weit über die ursprünglichen 100 Porträts hinausgeht. Es lädt dazu ein, Geschichten hinzuzufügen und das Netz der Erinnerung zu erweitern. Erinnerung ist nicht statisch, sondern ein fortwährender Prozess, der von unserer Mitwirkung lebt.
Mich hat auch die Entstehungsgeschichte des Projekts beeindruckt. Ernst Volland hat es ohne institutionelle Förderung realisiert, getragen allein von der Überzeugung und Beharrlichkeit des Künstlers und mit der Unterstützung privater Spender und Freunde. Es ist ein Beweis für die Kraft des individuellen Engagements und ein Beleg dafür, dass Veränderung oft von Einzelnen ausgeht – ganz im Sinne dieses Projekts.
„Warum kennt ihr mich nicht?“ fordert uns dazu auf, die porträtierten Frauen, ihren Mut und ihre Geschichten zu erinnern. Das Projekt ist aber auch eine Mahnung, unseren Blick auf die Gegenwart zu richten und die Fehler des Vergessens nicht zu wiederholen. Die Menschen, die heute Widerstand gegen Unrecht und Unterdrückung leisten, dürfen nicht in Vergessenheit geraten.
