Widerstand und Anerkennung

In der großzügig angelegten Gedenkstätte Berlin-Plötzensee gibt es einen kleinen Informationsraum, der ein differenziertes ideologisches Bild der Widerstandskämpfer widergespiegelt. Kommunisten neben Konfessionellen, Sozialisten, Liberale, Deutsche, Ausländer, jedoch keine besondere Würdigung widerständiger Frauen, obwohl in Plötzensee sehr viele Frauen durch das Fallbeil und durch Erhängen ermordet worden waren.

Einige dieser Frauen erfuhren später in der Bundesrepublik und in der DDR eine gewisse Würdigung, viele andere nicht. 

Wie unterschiedlich die Öffentlichkeit mit einzelnen Frauen umgegangen ist, lässt sich an der Biografie von Ilse Stöbe ablesen, die im Auswärtigen Amt Anfang der 1940er-Jahre arbeitete und von dort aus für die „Rote Kapelle“ Informationen an militärische Stellen der Sowjetunion weiterleitete. In den 1970er-Jahren trug eine kommunale Berufsschule in Ost-Berlin den Ehrennamen Ilse Stöbe. Nach der deutschen Einheit 1990 wurde diese Schule umbenannt. 2006 ehrte der russische ­Botschafter in Belgien Ilse Stöbe mit anderen Mitgliedern der „Roten Kapelle“ für ihren Widerstandskampf, was zur Folge hatte, dass nach mehreren Gutachten über Ilse Stöbe 2014 ihr Name immerhin auf der Gedenktafel des Auswärtigen Amtes im Haus am Werderschen Markt eingetragen wurde. Sie ist die erste Frau auf der Gedenktafel. 

Auf meinen Reisen zu den deutschen Goethe-Instituten in Vietnam, Chile und Brasilien stieß ich bei Recherchen auf Frauen, die in den letzten Jahren auf unterschiedliche Weise im Widerstand ermordet wurden.2

Der Widerstand von Frauen endete nicht 1945, sondern setzt sich kontinuierlich fort. Besonders viele Frauen wurden in Ländern Südamerikas ermordet, vor allem in Guatamala und Kolumbien. Hier ging in den 1960er- und 1970er-Jahren die Gewalt gegen widerständige Frauen von Militärdiktaturen oder paramilitärischen Milizen aus, die durch blanken Mord an öffentlich auftretenden Frauen jede Form von Widerstand einzuschüchtern versuchten. In Brasilien und auf den Philippi­nen mehren sich bis heute Morde an Frauen, die für mehr ­Klimaschutz und ökologische Projekte arbeiten. 

Nach dem Zweiten Weltkrieg ließ der Diktator Francisco Franco in Spanien weiter morden. Von den ermordeten widerständigen Frauen sind so gut wie keine Bilder zu finden, weil über diesen Taten bis heute ein Schleier des Schweigens liegt. Oft waren diese Frauen Partnerinnen von aktiven männlichen Kämpfern gegen Franco und wurden zusammen mit diesen ermordet. 

Zwei wichtige Notizen am Rande: Femizide, wie sie täglich auch in Spanien heute geschehen, sind nicht Teil des Projekts. Die Stasi (Staatssicherheitsdienst der DDR) mordete nicht, sie trieb Frauen durch psychischen Druck und berufliche Perspektivlosigkeit in die Isolation. Es kam zu späteren Selbstmorden. In den frühen 1950er-Jahren verurteile das sowjetische Militär in der DDR eine junge Frau, Johanna Kuhfuß 3, zum Tode, die in einer organisierten Gruppe für den westdeutschen Geheimdienst (damals „Organisation Gehlen“) und die CIA spionierte. Doch das war eine Ausnahme. 

Die Porträts der Frauen prägt ein einheitliches grafisches Bild. Es hat jeweils das gleiche Format, die Biografie ist auf wenige Fakten reduziert. Ein signalroter Streifen mit gelber Schrift zieht sich über jedes Porträt mit der Textzeile: „Warum kennt ihr mich nicht?“, entsprechend der unterschiedlichen Nationalitäten in unterschiedlichen Sprachen. Über die Bildqualität der Porträts lässt sich streiten; es sind jedoch qualitativ die besten Bilder, die gefunden werden konnten. Die unterschiedlichen Unschärfen der Porträts geben dem künstlerischen Profil des Projekts eine eigene grafische Note. 

Das Projekt wurde innerhalb von drei Jahren dreimal sorgfältig bei verschiedenen Kulturstipendien eingereicht. Da es aus­schließlich Ablehnungen gab, habe ich meinen Freundes-, Bekannten- und Familienkreis finanziell motiviert, zunächst einmal dieses Buch mit den 100 ermordeten Frauen zu pro­duzieren. Durch diesen Vorgang kommt das Kunstprojekt direkt aus der Zivilgesellschaft – es ist und bleibt ein Non-Profit-Unternehmen. 

Eine Ausstellung ist geplant, Ausstellungsorte werden gesucht. 

Eine Webseite ist eingerichtet: women-resistance.com Die Webseite eröffnet jeder und jedem die Möglichkeit, dort weitere Porträts zu platzieren, sodass aus den 100 Frauen, die hier exemplarisch aufgeführt sind, 1.000 werden und mehr. 

Die genaue Zahl der Frauen, die ihren Widerstand für eine ge­rechtere Gesellschaft mit dem Leben bezahlt haben, ist nicht zu beziffern. Das Projekt „Warum kennt ihr mich nicht? Frauen im Widerstand, gestern und heute“ möchte möglichst vielen von ihnen ein Gesicht geben.

  • 1 Vorschlag des Grafikers Detlef Behr, Köln.Sein Entwurf wurde nicht realisiert, vielmehr bevorzugte die Post eine realistische Dar­stellung der Wider­standskämpferin. Motiv Scholl aus der Serie „Eingebrannte Bilder“, siehe ernstvolland.de.
  • 2 Ich reiste zu den jeweiligen Goethe-Instituten, um mein Projekt beispielsweise in Vietnam „Eingebrannte Bilder – Vietnam“ vorzustellen und recherchierte diesbezüglich gleich vor Ort. Eine Realisierung ­meines Projekts durch eine Ausstellung fand in Vietnam, Chile und Brasi­lien nicht statt, jedoch 2015 in Jerusalem. 
  • 3 Johanna Kuhfuß ist eine der Frauen, von denen es nur sehr ­wenige Privatfotos in minderer Qualität gibt, sodass man in der Unschärfe kaum ihr Gesicht erkennt.

Ernst Volland arbeitet als freischaffender Künstler in Berlin.
Geboren in Bürgstadt/Miltenberg, aufgewachsen in Wilhelmshaven.